Nagoski, Emily: Come as You Are – The Surprising New Science that Will Transform Your Sex Life

Auf deutsch erschienen unter dem Titel: Komm’ wie du bist – das neue Frauen-Sexbuch: Knaur.

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Dieses Buch ist zu Recht ein New York Times Bestseller geworden. Der Sexual- und Gesundheitswissenschaftlerin Emily Nagoski ist es brilliant gelungen, den neusten Stand der Forschung zur weiblichen Sexualität nicht nur pointiert und äußerst anschaulich darzustellen, sondern ihn auch erfrischend direkt in die Praxis zu übersetzen. Chapeau! Damit trifft sie natürlich den Nerv der Zeit und setzt zugleich kraftvoll gegen die pharmakologische Antwort auf die sexuelle Lustlosigkeit der Frau an. Mit dem Buch „What do women want?“ hat vor einigen Jahren der Journalist Daniel Bergner bereits den Blick der Forschung auf die Sexualität der Frau einem breiten Publikum zugänglich gemacht. An Bergners Interpretation der Forschungsergebnisse störte mich, dass er das Bild eines an sich starken weiblichen Begehrens zeichnete, welches im Wesentlichen kulturell unterdrückt sei. Das ist zu schlicht und polemisch. Nagoski kommt differenzierter daher und geht in ihrem Buch zudem einen Schritt weiter, indem sie in der Anwendung konkret wird. Außerdem pathologisiert sie fehlendes Begehren nicht, sondern normalisiert und plausibilisiert die Erfahrung sexueller Lustlosigkeit (abgesehen davon, dass sie natürlich ein Buch darüber schreibt, wie es Frauen zugänglicher wird).
Nagoski bezieht sich wesentlich auf das Dual Control Model der Sexualität, welches postuliert, dass im sexuellen Erleben ein hemmendes und ein erregendes System bei jeder Person auf unterschiedliche Weise zusammenwirken. Wie dies geschieht, hängt außer von der Prädisposition wesentlich und vor allem bei Frauen vom Kontext ab. Ihre nicht weniger kluge als schlichte These und ihr praktischer Ansatz lauten: Schaffe aktiv Kontexte, die es erlauben, dass hemmende Einflüsse sich weniger stark auswirken und erregende Einflüsse auf deine Sexualität eine Chance erhalten. Dieser einfache Ansatz wird durch die Beschreibung kultureller, emotionaler, sozialer und körperlicher Kontexte, in denen Frauen sich bewegen, veranschaulicht und durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert. Die Themen sind bekannt, z.B. Stress und seine Auswirkungen auf sexuelles Erleben, viele der vorgeschlagenen Interventionen ebenfalls. Das Bestechende des Buches liegt aber in der Schlüssigkeit, Anschaulichkeit und Kraft ihrer Legimitation.
Das Buch hat auch einen aufklärerischen, ermutigenden und normalisierenden Charakter für die mehr oder weniger sexuell an sich oder am Partner verzagende Frau. Dies wird stilistisch durch direkte Ansprache der Leserin und jede Menge Storytelling appellativ verstärkt. Stilistisch wirkt es dadurch erfrischend und pointiert, sehr humorvoll bis ironisch, an manchen Stellen vielleicht etwas zu amerikanisch vereinfachend und mit etwas zu viel Power pro Sekunde. Es erreicht klar nicht die individuelle Tiefe einer Sexualtherapie, die Prinzipien des Buches lassen sich aber wunderbar in die Therapie integrieren. Das Buch eignet sich zur Lektüre für Klientinnen und Klienten.