Moeller, Michael Lukas: Worte der Liebe. Erotische Zwiegespräche, ein Elixier für Paare. Rororo (1998, 10. Auflage), 336 Seiten

Zerredet das Sprechen über Sex nicht die schönste Sache der Welt? Klienten und Vortragspublikum stellen immer wieder diese berechtigte Frage. Die Konjunktur von Embodiment und Erfahrungsorientierung in der Psychotherapie führte sinnvollerweise dazu, dass der Körper auch in der Sexualtherapie mehr denn je in der Therapiesitzung vorkommen darf und nicht nur in der Besprechung sexueller Hausaufgaben. Auf dem Höhepunkt meiner eigenen diesbezüglichen Inspiration ist es vermutlich kein Zufall, dass mir im Sinn einer dialektischen Gegenbewegung ausgerechnet der Klassiker „Worte der Liebe“ von Möller wieder in die Hände fiel. Was für ein leidenschaftliches Zeugnis des Hölderlinwortes der Liebe „Wir sind ein Gespräch“. Der 2002 verstorbene Psychoanalytiker, Paartherapeut und Professor für Medizinische Psychologie Moeller sieht die Kultivierung der eigenen Erotik und die erotische Selbstintegration als „die dritte Blüte des Menschen“ und „die seelische Geburt der Sinnesfreude“ an. Wunderbare Begriffe für erotische Entwicklung im Erwachsenenalter! Dabei setzt er voll auf die Sprache als Medium, etwas vor sich selbst und vor dem anderen zu explizieren und damit zu begreifen und sich durch das Sprechen und Zuhören gegenseitig zu berühren, zu inspirieren, weiterzuführen. Intimität im Gespräch als Gegengift zur „kontraktreichen Beziehungslosigkeit“.

Die Methode ist simpel: Zwei Menschen, z.B. ein Liebes-, Freundes-, Geschwisterpaar trifft sich zum Gespräch übWorte_der_Liebeer das Erleben ihrer Erotik von der Kindheit an bis jetzt. Spezifischere Themenschwerpunkte sind ebenso möglich. Über die Dauer des Gesprächs sollen Sprechen und Zuhören zwischen den Gesprächspartnern etwa gleich verteilt sein. Was geschieht dabei? Das kommt auf die Gesprächspartner an. Im Gesprächsverlauf vertiefen sich oft Bedeutungen und Gedanken, Erinnerungen und neue Ideen werden angeregt, wechselseitige Durchdringung wird möglich. Konflikte werden sichtbar, und im besten Fall kann, wie Möller schreibt, ein „lebendigen Kompromiss“ entstehen, in dem erfahren werden kann: Ich darf, ich muss sogar ich bleiben und kann dennoch mit Dir verbunden sein und mich zu Dir neigen. Damit lässt sich Moellers Reichtum der psychoanalytisch geprägten Sprache und die assoziative Natur seiner Methode mit Schnarchs Differenzierungsgedanken und der systemisch hoch anschlussfähigen Idee der Re-kommunikation von Gemeinsamkeit wie Unterschied und somit der Verhandlung von Realitäten im Paarsystem bestens vereinen. Auch in Analogie zum sexuellen Akt hat dieser assoziative Gesprächsfluss viel für sich: Ein offener Beginn, ein Wechselspiel, ein Innehalten, ein Fahrtaufnehmen, eine Windung oder ein Seitenarm, ein Tauchgang, ein Zurückgleiten in den großen Strom.

Die Struktur des Buches könnte man ebenfalls als assoziative Reihung bezeichnen: Theoretisierende und reflektierende Kapitel wechseln sich mit Transkripten erotischer Zwiegespräche ab. Die Seitenränder sind durchgängig gesäumt mit Zitaten. Das ist gewöhnungsbedürftig und setzt mehr auf Reichtum als auf Stringenz. Wie immer gilt die Einschränkung, dass die Methode zu den Klienten mehr oder weniger passen kann. Die Beispiele im Buch stammen fast ausnahmslos von sprachlich relativ „fortgeschrittenen“ Gesprächspaaren, die ihre Erotik reflexiv weit verfügbar und spürbare Lust am Sprechen haben. Dies trifft nicht auf Jeden zu, und manche Klienten könnten sich durch Buchlektüre wie Gespräch vielleicht eher befremdet fühlen. Für die meisten Leser – und Anwender – dürfte gelten: Anregend, unmittelbar erotisierend, sehr ermutigend. Für alle, die die Sprache als Ausdruck unseres Menschseins lieben und gerne benutzen.