Sexuelle Lustlosigkeit und das Hamburger Modell
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10. Februar 2015 um 20:09 Uhr #3275
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11. Februar 2015 um 4:30 Uhr #3281Sabina TschudiGast
Mich wundert dieses Studienergebnis nicht:
M.A. ist Vaginismus zumeist ein Resultat von Angst, sich einzulassen. Damit meine ich nicht nur das sich sexuell einlassen, sondern ein sich einlassen und öffnen für jegliche nicht antizipierbare Erfahrungen im Leben. Dieses sich einlassen kann über den Körper und die Sexualität Schritt für Schritt sehr gut gelernt und trainiert werden.In meiner Erfahrung ist ISD jedoch mehr ein Resultat von entweder:
– Machtausübung: ISD ist oft ein Mittel zur Macht-Kontrolle in einer Beziehung. Wenn er/sie nicht will, keine Lust hat, bestimmt er/sie massgeblich über die gelebte Sexualität des Partners mit. Und dahinter liegen tiefere Beziehungsdynamiken, welche durch körperliche Uebungen nicht erreicht werden. Hier bietet sich ein tiefer greifender therapeutischer/heilerischer Prozess an.
– mangelndes sexuellen Wissen und Bildung: Der “Ertrag” aus einer sexuellen Aktion/Interaktion ist geringer, als der Aufwand, der dafür geleistet werden muss. Es fehlt an sexuellem Wissen, welches dahin führen kann, dass das Outcome aus einer sexuellen Aktion ein Gewinn an Lust, Lebensfreude, Vitalität und Intimität mit sich bringt. Kurz gesagt: warum für etwas einen Aufwand betreiben, was nicht das ersehnte Resultat einbringt. Die Zeit wird anders investiert. Hier kann eine ISD mittels sexueller Bildung behoben oder massgeblich gemildert werden, jedoch nicht über vorgegeben Uebungen, welche eher die Unlust (“Hausaufgaben”) bestätigen als Lust und Erotik erbringen. -
13. Februar 2015 um 19:37 Uhr #3288Sabine Cassel-BährGast
Sehr geehrter Herr Clement,liebe Kolleg_innen,
aufgrund meiner Erfahrung mit der Therapie von Menschen mit sexuellen Störungen, aber auch mit vielen Patient_nnen, die ich im Rahmen von Psychoanalysen kennen gelernt habe, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass “Lustlosigkeit” keine Diagnose ist. Nicht einmal, wenn man den Begriff rein deskriptiv versteht, kann man m. E. darüber in einer solch theoretischen Weise, wie Sie es bislang vorschlagen, diskutieren. Gerade durch die nachträglich als “Lustlosigkeit” deklarierten Fälle, die im Zahlenmaterial der zitierten Evaluation zum Beleg für eine fragliche Indikation werden sollen, wird m. E. das Problem überdeutlich: diese Fälle waren zunächst diagnostisch anders eingestuft worden.Es ist keineswegs klar, ob wir über Fälle ähnlicher Ätiologie und selbst Phänomenologie sprechen, wenn wir abstrakt über Indikationen und Behandlungsmethoden diskutieren. Auf die Unterschiede zw. männlicher und weiblicher “Lustlosigkeit” muss ich dabei gar nicht eingehen, die Bedingungen, unter denen allein Frauen “lustlos” scheinen, sind höchst unterschiedlich und verweisen m. E. auf sehr unterschiedliche Konflikte – individuell wie auch Paar-dynamisch betrachtet. Deshalb denke ich nicht, dass sich eine Debatte hierzu in der Diskussion um die richtige Behandlungsmethode für “die” Lustlosigkeit erschöpfen kann, nicht einmal, dass solch eine Debatte um “die” Lustlosigkeit Sinn macht.
U. a. deshalb werde ich mich an einer Debatte hier zukünftig nicht weiter beteiligen, weil ich den Rahmen für eine Debatte, die mich wirklich interessieren würde, völlig ungeeignet finde: vor allem, wenn es darum geht – und meiner Meinung nach ginge es darum – über klinische Erfahrungen und deren Verständnis zu diskutieren, eignet sich eine Internetseite nicht, der Schutz von Patient_nnen-Daten ist da nur eines von vielen Argumenten…Eine andere Debatte hat jedoch bereits begonnen, ich wurde durch Margret Hauch von der Einladung informiert, sie hier weiter zu führen und möchte deshalb noch einmal auf Beiträge verweisen, die es zum Thema bereits gab.
– Vorab eine Klarstellung: der zitierte Artikel in der ZfS stammt nicht (u. a.) von Frank Maaß, sondern von Reinhard Maaß.
– Zuvor erschien in der ZfS bereits ein sehr ähnlicher Artikel zum Thema, den Reinhard Maaß als alleiniger Autor veröffentlicht hat. Es lohnt sich m. E., selbst zu prüfen, was das Zahlenmaterial über Diagnosen und Indikationen wirklich aussagt.
– In der ZfS erschien außerdem bereits im Folgeheft zum ersten Artikel von Maaß auch eine Replik, von Reinhardt Kleber und mir (Sabine Cassel-Bähr) zu eben jenem Artikel, im Namen des Hamburger Ausbildungsteams. Es gibt also bereits ein “Stück” Debatte, in der Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung – und ich denke, es wäre schön, wenn Sie auch diesen Beitrag, der eine andere Sicht auf das Problem darstellt, in Ihrem Blog erwähnen würden.
Hier der link für interessierte LeserInnen: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0034-1385091
Ebenso wichtig zur Ergänzung erscheint mir der genaue, mit klinischen(!) Beispielen und Belegen versehene Artikel der systemisch arbeitenden Kollegin Angelika Eck. Auch er ist in der ZfS erschienen. Er stellt einige Schwierigkeiten mit einer Form der weiblichen Lustlosigkeit dar, die nach Darstellung von Frau Eck in der systemischen Therapie methodische Veränderungen erfordert. Im erwähnten Artikel von Maaß, Bauer, Briken wird die Arbeit erwähnt, es macht m.E. jedoch sehr viel Sinn, zu lesen, was Frau Eck selbst in sehr klarer und klinisch überzeugender Weise darstellt. Nach meiner Erfahrung entsprechen ihre methodischen Veränderungen eben jenen Vorgehensweisen, die im Hamburger Modell im Rahmen der Einzelübungen, ihrer Besprechung und therapeutischen Bearbeitung(!)seit langem ihren Platz haben. Allerdings scheint es mir generell so zu sein, dass unser seit langem verändertes Verständnis der Übungen, grundlegende methodische Gewichtungen und wesentliche Schwerpunkte (z. B. das Prinzip Selbstverantwortung), die im 2006 erschienenen Buch von Margret Hauch (Hg.) zum Hamburger Modell ausgiebig dargestellt werden, in der Debatte einfach nicht zur Kenntnis genommen werden.Anders kann ich mir nicht erklären, dass Sie unser Symptom-Verständnis auf eine “Ätiologie von Angst” und unsere therapeutische Arbeit auf die “Reduktion von Angst” reduzieren.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Cassel-Bähr -
13. Februar 2015 um 22:01 Uhr #3289Sabine Cassel- BährGast
Ausdrückliche Entschuldigung an Reinhard Maß, der natürlich nur mir einem “a” geschrieben wird!
Sabine Cassel- Bähr -
14. Februar 2015 um 12:50 Uhr #3294Ulrich ClementVerwalter
Gunter Schmidt (HAmburg) bat mich, den folgenden Beitrag für ihn einzustellen. Ulrich Clement.
Hier sein Text:Anfang Januar 2015 habe ich Reinhard Maß einen Kommentar zu seinem hier diskutierten Aufsatz gesendet, den ich, etwas gekürzt, poste:
Lieber Herr Maß,
Ihr Aufsatz über die Evaluation des Hamburger Modells ist nun endlich erschienen, dazu gratuliere ich Ihnen und Ihren Koautoren. Lassen Sie mich … noch auf einige Details hinweisen, die … in Ihrer Rezeption meines Aufsatzes “Wir sehen immer mehr Lustlose …” (1998)1 etwas zu kurz gekommen sind.
Der empirische Kern meines Aufsatzes ist eine Re-Analyse der umfänglichen Befundberichte der PsychotherapeutInnen zu Beginn der Paartherapie nach dem Hamburger Modell (Paare aus dem Therapieprojekt, 1974 – 78). Die Analyse ergab, dass wir die damaligen Patientinnen mit der Diagnose “Orgasmus- oder Erregungsstörungen” nach den inzwischen (1998) gültigen Regeln “überwiegend als lustlos bezeichnen” würden (S. 351). Das bedeutet: Unter den von Arentewicz und Schmidt … 19862 beschriebenen Paaren mit Orgasmus- und Erregungsstörungen der Frau (OS) sind vor allem … lustlose Frauen. Frauen mit Lustlosigkeit wurden also schon in den Anfängen für die Paartherapie nach dem Hamburger Modell indiziert (und zwar in großer Zahl), allerdings unter einem anderen (aus heutiger Sicht: falschen) Label. Insofern hat eine Erweiterung der Indikation im Hamburger Modell nicht statt gefunden, wohl aber eine semantische/ diagnostische Präzisierung bei der Beschreibung des Klientels.
Leider habe ich mir 1998 nicht die Mühe gemacht, die Ergebnisse der als “lustlos” re-diagnostizierten Patientinnen noch einmal anzusehen (wäre kein großer Aufwand gewesen …). Aber: Da die in der Buchpublikation zum Hamburger Modell (1986) als “OS” aufgeführten Paare überwiegend “lustlose Paare” (Lustlosigkeit der Frau) sind, ergeben sich für die Fragestellung, die Sie behandeln, schon einige recht interessante Hinweise3. Bei 36% der OS-Gruppe beurteilen die TherapeutInnen die “sexuellle Funktion” als “deutlich gebessert” oder “geheilt” (was für eine Kategorie!), bei den anderen Gruppen (Vaginismus, Erektionsstörungen, vorzeitige Ejakulation) hingegen sind es 63 – 78%. …
Ähnliche Trends – geringere Erfolge bei den OS/ der Lustlosigkeit in Relation zu anderen Störungen, aber dennoch bei etlichen Paaren spürbare Besserungen, wenn auch nicht so ausgeprägt -, zeigen auch andere Indikatoren des Therapieerfolges. Wir diskutierten die Besonderheit der OS Gruppe damals ausführlich im Abschnitt “Schwierigkeiten bei der Behandlung der Orgasmusstörungen”4- und damit letztlich schon damals die Schwierigkeiten bei der Behandlung der “Lustlosigkeit” im Rahmen des Hamburger Modells. Das ist im diagnostischen Kuddelmuddel im Übergang von Masters/ Johnson zu Kaplan-Singer leider untergegangen – und sicherlich eine der Schwächen der alten Studie. Wenn Sie so wollen, wird der Vorbehalt gegenüber dem Hamburger Modell bei “Lustlosigkeit” auch schon von der alten Studie gedeckt. Vermutlich ist die Lustlosiglkeit ein viel zu buntes und klinisch uneinheitliches Präsentiersymptom, um sich mit einer Methode stellen zu lassen – das macht sie doch so interessant, solange man als TherapeutIn die Lustlosigkeit nicht mitagiert.
Schönen Gruß,
Gunter Schmidt -
14. Februar 2015 um 17:59 Uhr #3295Ulrich ClementVerwalter
Auch ich muss mich bei Reinhard Maß entschuldigen, dem ich nicht nur einen falsch geschriebenen Nachnamen, sondern auch eine ganz andern Vornamen zugemutet habe.
Ulrich Clement -
14. Februar 2015 um 18:02 Uhr #3296Ulrich ClementVerwalter
Liebe Frau Cassel-Bähr,
danke für Ihren Beitrag, auf den ich gern eingehe.Zu Ihrer Argumentation:
– „Lustlosigkeit“ keine Diagnose:
Ob man Lustlosigkeit als Diagnose fassen will, ist mir nicht wichtig. Mir liegt eine pathologisierende Fassung des Phänomens ohnehin fern. Aber der Begriff beschreibt immerhin den gemeinsamen Nenner von Problemerzählungen, die natürlich individuell variieren. Aber das diskreditiert den Begriff ja nicht. Dass unter einem Begriff verschiedene Erscheinungsformen zusammengefasst werden, ist sprachlogisch unvermeidbar. Das gilt für alle andern „Diagnosen“ ja auch. Aber wenn man – wie Sie nahelegen – jeden Fall nur noch in seiner Höchstindividualität liest, lässt gar nicht mehr fallübergreifend diskutieren und man verliert sich in einem – zwar zutreffenden, aber theoretisch wie klinisch sterilen – „jeder Fall ist anders“.– Internet für die Debatte ungeeignet
Das Argument verstehe ich gar nicht. In dem Moment, wo man veröffentlicht, hat man den Schutz von Patienten zu beachten. Das haben Sie ja auch, wenn Sie in der Zeitschrift oder in einem Buch publizieren.– andere Beiträge
Ich danke Ihnen, dass Sie auf die bereits publizierten Beiträge hinweisen. Aber Sie scheinen die Diskussion lieber beenden als fortsetzen zu wollen. Ihre Replik, die Sie mit Reinhardt Kleber verfasst haben, wirkte auf mich eher gekränkt als an Auseinandersetzung interessiert. Ich habe mich gewundert, warum ein großes Universitätsinstitut die eigenen Daten nicht selbst auswertet und dann auch selbst interpretiert. Reinhard Maß als Externer hat ja wohl die meisten Analysen gemacht. Seine Kritik lässt sich doch auch als Ansporn verstehen, wenigstens im Nachhinein jetzt die eigene Interpretation der Daten vorzustellen.– „Das Neue“ im Hamburger Modell
Dass Sie sich nicht auf mein Kürzel „Ätiologie von Angst“ reduzieren lassen wollen, akzeptiere ich gern, das war sicher zu simpel gesagt. Aber was die substantiellen konzeptionellen Neuentwicklungen sind (Fallkonzeption, Theorie, Interventionen) hat sich mir nicht wirklich erschlossen. Es kann ja sein, dass es in der mündlichen Präsenzkultur der Hamburger Fortbildungen deutlich wird. Aber schriftlich habe ich das nicht gefunden. Das Prinzip Selbstverantwortung, das sie so hervorheben, ist doch nichts spezifisches, das würde doch jeder Therapeut jeder Schule unterschreiben.Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Clement -
15. Februar 2015 um 17:42 Uhr #3298Sabine Cassel-BährGast
Lieber Herr Clement,
auch wenn ich nach wie vor die Debatte über die sogenannte “Lustlosigkeit” nicht so und nicht hier führen möchte, will Ihnen hier noch einmal direkt antworten:
– wenn ich geschrieben habe, dass “Lustlosigkeit” nach meinem Verständnis keine Diagnose ist, dann war mir das aus folgendem Grund wichtig: wir können nicht darüber diskutieren, wie “etwas” am besten oder gar nicht behandelt werden kann, das wir zuvor nicht wenigstens ansatzweise “operationalisiert” haben. Unterschiedliche Hintergründe des Phänomens “Lustlosigkeit” erfordern auch unterschiedliche Formen von Therapie, meine ich. Damit bin ich noch weit entfernt davon, nahe zu legen, “jeden Fall nur noch in seiner Höchstindividualität” zu lesen. Auch ein generalisierendes “Jeder Fall ist anders” entspricht nicht meiner Haltung. Ich sehe nur die Notwendigkeit, diagnostisch zu operationalisieren und zu differenzieren, bevor man – bezogen auf eine Diagnose – Therapiemethoden vergleicht. Zwischen Einzelfall und “alles lustlos” gäbe es ja z. B. noch primär, sekundär, im Rahmen von festen Paarbeziehungen und / oder außerhalb, im Zusammenhang mit Depression oder mit Perversion oder mit Traumatisierung – alles “Fälle”, die mir schon unter dem “label Lustlosigkeit” begegnet sind. Und nicht wenige davon habe ich an systemische TherapeutInnen vermittelt und würde es sofort wieder tun, bei anderen tue ich es aber eher nicht. Und ich glaube, die meisten TherapeutInnen stellen bei “Lustlosigkeit” entsprechend unterschiedliche Indikationen und haben ihre guten Gründe dafür.-Dass Sie unsere Replik auf den ersten Beitrag von Reinhard Maß als “eher gekränkt als an einer Auseinandersetzung interessiert” wahrnehmen, kann ich Ihnen natürlich nicht nehmen. Ist ja Ihre Wahrnehmung und die kann ich schlecht zurückweisen. Ich kann nur dabei bleiben, dass ich an einer fachlich -klinischen Auseinandersetzung, auch mit Ihnen, interessiert bin, allerdings denke ich nach wie vor, dass man sie so, wie R. Maß sie begonnen hat und so, wie sie bisher weiter ging, nicht sinnvoll, im Interesse von kollegialem Austausch und guter PatientInnen-Versorgung, führen kann. Wir haben in unserer Replik versucht, zu argumentieren, ich weiß es im Moment wirklich nicht besser deutlich zu machen, an welcher Art der Auseinandersetzung wir interessiert sind und welche wir für nicht konstruktiv oder Zielführend halten. (Mit Ziel meine ich hier vor allem: eine gute therapeutische Versorgung von PatientInnen)
-Weshalb das Institut für Sexualforschung “seine Daten nicht selbst auswertet”? Das bedauert wohl niemand mehr als ich, ich kann es nur leider auch nicht erklären oder ändern! Ich bin, wie inzwischen die meisten AusbilderInnen des Hamburger Fortbildungsteams, keine Mitarbeiterin dieses Instituts, bereits seit über 10 Jahren nicht mehr. Ich arbeite als Analytikerin in freier Praxis sowie als TP-lerin und Sexualtherapeutin in Therapie und Lehre und bin seit drei Jahren Mitglied des Fort -und Weiterbildungsausschuss der DGfS.
-Auf den Punkt, weshalb ich die Debatte nicht im Internet führen möchte, sondern innerhalb der Zeitschrift und der Veranstaltungen der DGfS, gehe ich jetzt nicht mehr gründlich ein, es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Gründen. Natürlich muss ich Fallvignetten auch dort anonymisieren, aber es gibt eine viel geringere Verbreitung, man muss überhaupt mehr Sorgfalt auf alles verwenden, was man dort schreibt und sagt – es wird von einem Redaktionsteam oder jedenfalls von “Dritten” geprüft – und das finde ich gut und angemessen.
-Dass sich Ihnen aus den neueren Veröffentlichungen zum Hamburger Modell nicht erschlossen hat, was unsere konzeptionellen Veränderungen sind, finde ich schade. Ich habe gehofft, dass schon aus unserer kurzen Replik einiges zum Symptomverständnis, zur ständigen Notwendigkeit einer Konflikt-bezogenen Bearbeitung dessen, was durch die Übungen ja nur systematisch hervorgebracht wird, zur Bedeutung des Round-table, zum Umgang mit dem “Prinzip Selbstverantwortung” usw. hervorgeht, das sich von dem frühen Verständnis der Übungen und Regeln im Hamburger Modell abhebt.
Ihre Einlassung zum Prinzip Selbstverantwortung verstehe ich allerdings überhaupt nicht. Sie schreiben, “das Prinzip Selbstveranwortung würde jeder Therapeut jeder Schule” unterschreiben, das sei nichts Spezifisches. Das klingt, als gehe die Arbeit mit dem Prinzip Selbstverantwortung darin auf, irgendwie zu behaupten, dass “jede/r für sich selbst die Verantwortung trägt”. Das wäre so natürlich einfach nur banal! Sie selbst hatten aber die alte “Vetoregel”, die ein Teil dieses Prinzips ist, dereinst als “unhintergehbar”, als die Entwicklung blockierendes Machtinstrument für den / die “Lustlosen” kritisiert (in unserer Arbeit kann es auch jmd. mit anderer, z. B. einer Funktionssymptomatik sein, der/ die ein Veto gibt, aber das ist hier nicht der Punkt). Ich meine, dass wir in unserer Veröffentlichung von 2005 bereits auf Ihre Kritik reagiert haben. Wir haben auch in unserer Replik wieder versucht zu erklären, dass ein Veto im Rahmen des Prinzips Selbstverantwortung keineswegs von den TherapeutInnen fraglos hinzunehmen ist, ganz im Gegenteil: die therapeutische Arbeit beginnt erst, wenn man gemeinsam mit einem Paar darum bemüht ist, die Funktion eines gegebenen Vetos, vor dem Hintergrund des bereits Erarbeiteten zu verstehen (eine Funktion, die z. B. auch einfach eine manipulative sein könnte, womit wiederum noch längst nicht alles klar wäre, sondern die eigentliche therapeutische Arbeit weiter geht).
Vielleicht haben wir aber unsere Konzeption doch noch nicht ausreichend oder gut genug erklärt – ich denke, wir werden es weiter versuchen. Meines Erachtens geht das am besten anhand von Fallvignetten – oder Geschichten, weshalb es im Buch von Margret Hauch (Hg.) auch diverse Transkripte aus Therapiesitzungen gibt, um unser Vorgehen zu verdeutlichen. Aber vielleicht genügt das eben noch nicht.
Ich finde es generell nicht ganz leicht, Wirkungsmechanismen in der Therapie zu beschreiben, ich habe den Eindruck, dass wir als TherapeutInnen oft selbst nur einen gewissen Teil dessen erfassen und beschreiben, was wir tatsächlich tun. Wenn ich die Arbeit meiner systemischen oder verhaltens-therapeutischen KollegInnen in Intervisionsgruppen oder Supervisionen miterlebe, habe ich zudem den Eindruck, dass wir unterschiedliche Begriffe und manchmal auch Perspektiven auf etwas haben, dass sich im Kern oft gar nicht so grundsätzlich unterscheidet. Wenn man eine gemeinsame Sprache findet, helfen mir solche Kooperationen immer sehr beim Nachdenken über eigene Konzepte. Das ist im Übrigen auch eine Erfahrung mit dem Hamburger Modell, die ich sehr zu schätzen weiß: die TherapeutInnen, mit denen ich im Modell gearbeitet habe, kamen aus den unterschiedlichsten therapeutischen Schulen – und ich habe die Zusammenarbeit, mit dem Modell als “Klammer” als sehr produktiv und konstruktiv empfunden. Dennoch halte ich es für unbedingt notwendig, auch kontrovers zu diskutieren, wo echte Unterschiede, Grenzen, jeweilige Stärken und Schwächen unterschiedlicher Therapieschulen liegen.
Aber zukünftig möchte und muss ich das erst einmal an anderer Stelle tun
Herzliche kollegiale Grüße
Sabine Cassel-Bähr -
16. Februar 2015 um 21:26 Uhr #3299Ulrich ClementGast
Liebe Frau Cassel-Bähr,
mit Ihrer ausführlichen Antwort kann ich viel anfangen und danke Ihnen dafür umso mehr, als Sie dieses Forum nicht so recht geeignet empfinden. Ich stimme Ihnen vor allem zu, dass Wirkmechanismen einer Therapie schwer zu beschreiben sind. Allerdings ist das für mich gerade ein Grund, die Diskussion zu führen statt sie zu beenden. Ich glaube auch, dass das jenseits von Fallanalysen gehen kann. Wie Therapie wirkt – da bin ich nun etwas anderer Meinung – lässt sich nur theoriegeleitet plausibel machen, da man sie ja nicht direkt beobachten kann. Aber das ließe sich ja erörtern.Vielleicht lässt sich mein Anliegen etwas komprimierter ausdrücken. Wegen mir lassen wir dabei den Begriff der „Lustlosigkeit“ weg, der Sachverhalt bleibt ja. Die Frage, die mich in Bezug auf das Hamburger Modell nach wie vor interessiert: Machen Sie einen konzeptionellen und praktischen Unterschied, wenn das Nicht-Können oder wenn das Nicht-Wollen (für mich zwei zentrale Parameter) im Zentrum der Problemerzählung steht? Ich selber mache den Unterschied, aber nicht diagnostisch, sondern abhängig vom Leidensfokus der Klienten und finde es etwas vom Reizvollsten, der Frage nachzugehen, wie sich das Wollen (bzw Nicht-Wollen oder Anders-Wollen) mit dem Nicht-Können (bzw. Können) verwebt und wie das konstruktiv zu lösen gehen könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Clement -
22. Februar 2015 um 16:49 Uhr #3316Reinhard MaßGast
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Forschung, insbesondere Therapieevaluation, gehört zweifellos zu den Hauptaufgaben einer Universitätsklinik. Meines Wissens ist es der Initiative von Margret Hauch zu verdanken, dass nach längerer Pause ab 1995 bei den Intensivtherapien wieder systematisch Daten zur Untersuchung der Effekte des Hamburger Modells erhoben wurden. Teile des über Jahre kummulativ wachsenden Datensatzes sind früher ausgewertet und veröffentlicht worden. Nur eine Gesamtauswertung fehlte, insbesondere eine, bei der die Therapieergebnisse bei sexueller Lustlosigkeit geprüft wurden. Gunter Schmidt hat ja darauf hingewiesen (siehe oben), dass eine Re-Analyse der Daten aus den 1980/1986 publizierten Ergebnissen bereits Anlass zu Zweifeln geboten hat.
Die diagnostische Kategorie „sexuelle Lustlosigkeit“ ist umstritten (zumindest darin gibt es Konsens). Das beginnt schon mit den unterschiedlichen Definitionen des Phänomens. Sexueller Lustlosigkeit können recht unterschiedliche Ätiologien zugrunde liegen. Und jede Behandlung kann auf das Paradoxon stoßen, dass z.B. von Angelika Eck in Heft 3/2014 der ZfS als „wollen wollen“ beschrieben wurde.
All dies ist den Vertreterinnen und Vertretern des Hamburger Modells bestens bekannt (siehe z.B. Hauch & Linzer: „Probleme mit der Lust“ im Theorieteil des Manuals von 2006/2013), und es stand einer Indikation zur Behandlung mit dem Hamburger Modell bislang nicht im Wege (dementsprechend ist der Beitrag von Hauch & Linzer Teil des Kapitels „Was wird behandelt?“, ohne irgendeine Einschränkung). Bei den mit den Intensivtherapien am Hamburger Institut behandelten Paaren wurde diese Diagnose ebenfalls sehr oft vergeben.
Ich habe daher in ihrem Beitrag vom 15.02.2015 mit Interesse gelesen, dass Sabine Cassel-Bähr bei bestimmten Formen sexueller Lustlosigkeit das Hamburger Modell für weniger geeignet hält als z.B. eine Systemische Sexualtherapie. Wenn eine so versierte Sexualtherapeutin zu dieser Einschätzung kommt, wären ihre diesbezüglichen Überlegungen oder Erfahrungen ein wertvoller Diskussionbeitrag, und ich würde mich freuen, davon zu lesen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Maß -
25. Februar 2015 um 14:56 Uhr #3324Berit BrockhausenGast
Also:
Im Rahmen der dreiwöchigen Sommerfortbildung zeigen die Daten, dass die lustlosen oder lust- und orgasmuslosen Paare weniger von dem Modell profitieren als die anderen.
So what? Das ist doch kein Wunder. Denn unter dem Zeitdruck bleibt nicht ausreichend Zeit, die notwendige Arbeit mit dem Paar zu machen, die vor Beginn der Übungen notwendig ist. Und gerade lustlose Paare brauchen häufig etwas mehr an gezielten paartherapeutischen Interventionen.Das Roundtable-Gespräch ist die Voraussetzung für die Arbeit mit den “Übungen”. Das Paar schließt miteinander und mit mir ein Arbeitsbündnis. Jeder der beiden will mit Unterstützung der “Übungen” bestimmte Fähigkeiten entwickeln, wie zB sich spüren, Bedürfnisse äußern, sich abgrenzen, sich zeigen…
Damit es nicht zu einem vorzeitigen Bündnis kommt, bei dem es scheinbar ums Nichtkönnen geht, habe ich gerade bei lustlosen Paaren vorm Roundtable eine Menge andere Arbeit zu tun: neben der Anamnese der individuellen sexuellen Biografie und der gemeinsamen Geschichte erfrage ich vor allem die bisherigen Lösungsversuche des Paares. Hier nutze ich mein paartherapeutisches Handwerkszeug und immer häufiger den Crucibleansatz von David Schnarch.
Beide Partner müssen eine Entscheidung für sich treffen: Will ich wirklich noch mal guten Sex mit dir? Bin ich bereit, für das einzutreten, was ich darunter verstehe, auf das Risiko hin, von dir abgelehnt zu werden? Bin ich bereit, auch bei Ablehnung zu mir zu stehen? Will ich mein erotisches Potential überhaupt mit dir teilen? Dieses Vorgehen ist sowohl systemisch als auch Bestandteil der Arbeit mit dem Hamburger Modell, so wie ich es verstehe.
Manche entscheiden sich dagegen. Andere verändern ihre Sexualität nach dieser Entscheidung spontan. Und wieder andere haben es aufgrund ihrer Biografie sehr schwer, eingefahrene Verhaltensmuster zu verändern. Für die sind die Übungen großartig, um die getroffene Entscheidung auch leben zu können, indem sie miteinander mit dem Risiko experimentieren und alte Vermeidungsstrategien aufgeben können. Die Durchführung der “Übungen” mit einem Paar, mit dem ich dieses Arbeitsbündnis nicht habe, wäre öde, langweilig, pflichtschuldig. Aber auch mit denen, die sich entschieden haben, braucht es immer wieder an bestimmten Punkten der Therapie neue Entscheidungen, neue Konfrontation und ein erneuertes Arbeitsbündnis.
Genau deshalb hat im Hamburger Modell das Roundtable-Gespräch einen so hohen Stellenwert, und die KollegInnen nehmen sich in ihren Praxen viel Zeit, es mit dem Paar vorzubereiten.
Diese Zeit ist in der Sommerfortbildung nicht gegeben. Da ist es doch wirklich bewundernswert, dass es offenbar gelungen ist, in der Phase der Durchführung der “Übungen” und ihrer Bearbeitung ein Teil der notwendigen Arbeit am Wollen doch noch erfolgreich einzubeziehen, um zu den beschriebenen guten Ergebnissen zu kommen. -
26. Februar 2015 um 22:09 Uhr #3331guidoschneiderTeilnehmer
Lieber Herr Clement, liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Hamburger Modell als ein Programm aus Sensate-Focus-Übungen zu verstehen, die „herunter gestreichelt“ werden, wäre so, als würde man einen Porsche maximal im 2. Gang fahren.
Das Hamburger Modell ist weit mehr als ein Herunterspulen von Sensate-Focus-Übungen, um Unsicherheit und Ängste zu reduzieren. Auch ist dort keine ätiologische Erklärungsfigur über Angst als Basis einer Dynamik in der Beziehung von lustlosen Paaren beschrieben. Angst kann im Hamburger Ansatz eine Ätiologie sein, aber sie ist nicht das vorherrschende ätiologische Modell für die Erklärung von „Lustlosigkeit.“
Vielen Dank Berit für den Beitrag über die Bedeutung des Round-Table-Gesprächs. Dort zeigt sich, wie das Hamburger Modell explizit den Raum gibt, zu Beginn der Behandlung ausführlich auf Zusammenhänge innerhalb der Paardynamik zu schauen, entsprechende Hypothesen gemeinsam mit dem Paar zu erarbeiten und zu verstehen und ein Symptom nicht unkritisch als Diagnose stehen zu lassen. Hier wird die Basis geschaffen, zu verstehen, was denn „klappt“, wenn „es“ nicht klappt. Meine eigene Erfahrung ist, dass Therapien nach dem Hamburger Modell, in denen ich hier nicht ausreichend sorgfältig auf Dynamik, Realitätskonstruktionen und Bündnisse innerhalb des Paares und innerhalb des Therapiesettings achte, oft zäh, langwierig und mühsam werden. Die Bedeutung, die dieses Element des Hamburger Modells für den gesamten Ansatz hat, bildet sich nach meiner eigenen Erfahrung, wie oben auch von Berit Brockhausen beschrieben in der Hamburger Sommerfortbildung leider nicht ab. Auch im Manual würde ich mir entsprechend mehr Ausführlichkeit wünschen. So, wie derzeit das Round-Table-Gespräch im Manual platziert ist, geht es in seiner Bedeutung hinter den detailliert dargestellten Beschreibungen über den Umgang mit Sensate Focus unter. Ich vermute hier einen Grund für die „Lustlosigkeit“ mancher Therapeuten bezügliche der Arbeit mit dem Hamburger Modell, wenn versucht wird, die Therapie nach Manual ohne persönliche Ausbildung bei versierten Lehrern auszuprobieren. Dann – so persönliche Rückmeldungen frustrierter KollegInnen, wird eben ein Programm heruntergestreichelt. Der rote Faden, der im Round-Table geknüpft wird ist meiner Ansicht nach das Herz dieser Therapie und dann wird es fade. Dann fehlt das Salz in der Suppe.Wie Sabine Cassel-Bähr zu Recht schreibt, ist gerade die „Diagnose Lustlosigkeit“ als Kategorie kritisch zu bewerten und der Ansatz des Hamburger Modells fordert zu einem individuellen Verständnis der Dynamik auf. Dies widerspricht nicht dem Versuch, entsprechende Kategorien für die Forschung zu operationalisieren. Dieses Verständnis der Dynamik ist Voraussetzung, dass überhaupt mit irgendwelchen „Übungen“ als einer Komponente des Modells begonnen wird. (Ich verwende den Begriff „Übungen“ in der Praxis nicht mehr, da er zu missverständlich und defizitorientiert ist; siehe hierzu auch den Kommentar von Carmen Lange im Manual der überarbeiteten Version auf S. 56f.) Auf dieser Grundlage ist dann ein Experimentierfeld eröffnet, in dem es gerade um die Gestaltung „Erotischer Räume“ und Fantasien und den damit verbundenen Spannungen und Konflikten geht.
Hier ist ein Raum eröffnet, in dem es auch um die „Musik“ geht (also Innovationsfreude, Neugier, Dramaturgie, Ergebnisoffenheit) und zwar nicht nur für die Paare, sondern auch für die Therapeuten, ähnlich wie Ulrich Clement dies in seinem ersten Diskussionsbeitrag für die systemische Paartherapie beschreibt.Meinem Verständnis nach gibt es viele Parallelen bzw. Gemeinsamkeiten zwischen dem Hamburger Modell, der Systemischen Paartherapie und Crucible-Therapieansatz von David Schnarch. Im Schnarchschen Sinn sind alle drei differenzierungsbasiert. Das was dort als „Four Points of Balance“ (muss da jetzt noch ein ™ hinter, oder nicht?) beschrieben wird, unterscheidet sich im Kern nicht großartig von dem, was im überarbeiteten Ansatz des Hamburger Modells mit dem „Prinzip Selbstverantwortung“ beschrieben wird. Auch wenn Cassel-Bähr diesen Kern im Manual des Hamburger Modells in einer anderen Tonart intoniert, als Schnarch in seinen Büchern. Und auch das von mir sehr geschätzte Spiel mit den Variationen des „Idealen Sexuellen Szenarios“ verstehe ich bislang als eine Modulation des gleichen Themas. Hier wie dort wird etwas, dass in Paartherapien wirkt, in unterschiedlichen Verfahren mit jeweils anderen Begrifflichkeit belegt wird. Es wird gemeinsam mit dem Paar ein therapeutischer Raum konstruiert, der die Möglichkeit bietet, dass sich Partner mit ihren jeweiligen Profilen, Wünschen und Ambivalenzen wahrnehmen, zu erkennen geben, wo sie das wollen und sich abzugrenzen, wo sie dies nicht wollen. Um dann mit diesem Resultat in der Beziehung Transparenz herzustellen und in eine Entwicklung und Auseinandersetzung einzusteigen.
In diesem Prozess, lieber Herr Clement, steckt eine Menge „Musik,“ ob über die systemische Paartherapie – wie Sie das oben beschreiben, ob im Schmelztiegel Schnarchs, oder auf dem Weg über das Hamburger Modell.
Auch wenn die Freude an der Weiterentwicklung des Hamburger Modells angesichts der jüngeren Publikationen nicht zum Ausdruck kommen mag: Im Kreis derer, die sich mit der Entwicklung des Modells beschäftigen, ist sie vorhanden und sprudelt – mal lebhaft und mal kontrovers.So, wie das Hamburger Modell in seiner überarbeiteten Fassung beschrieben wird, ist es mehr als ein verhaltenstherapeutisches Programm zur systematischen Desensibilisierung von Ängsten, auch ein systemisches Verständnis von Paardynamik, mehr als eine Arbeit an der individuellen Differenzierung und nicht nur ein tiefenpsychologisches Verständnis von biografisch bedingten neurotisch oder pervers ausgestalteten Konfliktlösungsmustern innerhalb einer Beziehung.
Das Hamburger Modell bietet in seiner überarbeiteten Version die Möglichkeit, dies alles abzubilden. Und hier wird deutlich, warum dieses Modell eben ein „Porsche“ ist, der eine Menge zu bieten hat, nicht nur Fahrkomfort und Lebendigkeit (Spritzigkeit würde man wohl beim Auto sagen) sondern eben aufgrund des klar definierten Experimentierfeldes auch eine Menge Sicherheit, mit der man sich auch in hohem Tempo bewegen kann. Um diesen „Porsche“ mit seinem Potential auszureizen, braucht es nicht nur ein technisch ausgetüfteltes Vehikel, sondern auch entsprechend versierte Fahrerinnen und Fahrer. Die Debatte über Differenziertheit von Therapeuten, die Schnarch zu Genüge in seinen Büchern führt, überlasse ich aber gerne ihm und möchte Sie hier nicht eröffnen. Wohl möchte ich aber die Bedeutung des Rahmens einer praktischen Ausbildungsmöglichkeit betonen, wie ihn die Sommerfortbildung in Hamburg lange geboten hat.Ob die Evaluation der dreiwöchigen Sommerfortbildung geeignet ist, das im Hamburger Modell enthaltende Potenzial und dessen Wirksamkeit auch abzubilden, möchte ich an dieser Stelle bezweifeln.
Aufgrund der vorgegebenen Kursstruktur wird nach einer vorgegebenen Stundenzahl die Therapie abgebrochen, die in der Regel jedoch noch nicht beendet wäre, verglichen mit einem Verlauf im ambulanten Rahmen „in der freien Wildbahn.“ Es werden nicht Ergebnisse eines Therapiemodells untersucht, sondern in den meisten Fällen Zwischenstände nach einer definierten Stundenzahl. So können Aussagen darüber gemacht werden, ob der Beginn einer Therapie nach dem Hamburger Modells in der Lage ist, Paare in Bewegung zu bringen. Eine Studie, die eine Aussage über die Wirksamkeit des Hamburger Modells machen möchte, wie es im Manual beschrieben ist, müsste ein anderes Design haben.
Die in der Zeitschrift für Sexualforschung von Reinhard Maß et. alt. vorgelegten Studien untersuchen die Wirksamkeit des dreiwöchigen Intensiv-Ausbildungskurses, nicht jedoch das Hamburger Modell, wie im Manual dargestellt. Auf dieser Grundlage eine Aussage über die Wirksamkeit in der Behandlung eines unscharf definierten Phänomens „Lustlosigkeit“ zu treffen und dies dann an der Vignette eines nicht zufrieden stellenden verlaufenden Falles darzulegen, ist mutig. Angesichts dieser Datenlage ist nur ein Bewegen auf sehr dünnem Eis möglich, was Maß ja selbst kritisch anmerkt.In meiner eigenen klinischen Erfahrung mache ich regelmäßig gute Erfahrungen in der „paartherapeutischen Behandlung von Lustlosigkeit,“ auch wenn ich nach dem Hamburger Modell arbeite, wenn ich unter „Lustlosigkeit“ erst einmal das ursprünglich präsentierte Symptom des Paares verstehe. Und ähnliche Rückmeldungen begegnen mir regelmäßig im Kreis von Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Hamburger Modell arbeiten.
Eine Studie, die die Wirksamkeit von entsprechenden Therapieverfahren untersucht, wäre sehr wünschenswert. Der Diskurs über ein aussagekräftiges Studiendesign wäre ein erster Schritt, doch denke ich, dass dies den Rahmen dieses Forums sprengt.Mit freundlichen Grüßen,
Guido Schneider
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9. März 2015 um 10:32 Uhr #3351JulianaGast
Ich hab zwar keine Ausbildung hinter mir, aber ich finde, dass man immer weigner gefordert wird. Alleine am Arbeitsplatz lernt man nicht wirklich neues dazu und das ist auch nicht die Erffcllung auf le4ngere Zeit.Ich kann es aber auch nachempfinden, man weiss einfach nicht was man machen soll. Es ist eigtl. schade aber na ja, mal sehen wie es mit der Zeit wird Know v3.0
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28. Februar 2015 um 15:20 Uhr #3337Reinhard MaßGast
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich kann mich vielem anschließen, was Guido Schneider oben ausgeführt hat. Ich habe z.B. bei der Auseinandersetzung mit dem Crucible-Ansatz von David Schnarch immer wieder den Eindruck bekommen, dass mit dem Hamburger Modell auf anderen Wegen ähnliche Effekte (stärkere Differenzierung des Selbst) erzielt werden müssten. Das liegt meines Erachtens vor allem an dem Selbstverantwortungsprinzip. (Anmerkung zu Ulrich Clement 14.02.: Vermutlich stimmen Therapeutinnen und Therapeuten vieler Therapieschulen diesem Prinzip inhaltlich zu. Aber ich habe bisher nirgends eine auch nur annähernd vergleichbar klare und griffige Konzeptualisierung gefunden wie beim Hamburger Modell, nur Plagiate.)
Es gibt inzwischen auch mehrere Statements von Guido Schneider und anderen, die darauf hinweisen, dass Ergebnisse von dreiwöchigen Intensivtherapien nicht zwingend auf die mit verteilten Therapien erreichbaren Ergebnisse übertragbar sind. Mir erscheint das ebenfalls plausibel. Allerdings sind die Vertreterinnen und Vertreter des Hamburger Modells selbst immer von der weitgehenden Vergleichbarkeit der Settings ausgegangen (vgl. Arentewicz & Schmidt, 1980).
In einem Punkt aber irrst Du, lieber Guido. Die Beweispflicht für eine Hypothese liegt bei dem, der diese Hypothese formuliert. Eine über viele Jahre aufrechterhaltene, aber bis 2014 nie geprüfte Hypothese ist: „Das Hamburger Modell wirkt bei sexueller Lustlosigkeit genau so gut wie bei sexuellen Funktionsstörungen.“ Es liegen zwar Kasuistiken vor, aber damit können Hypothesen weder bestätigt noch widerlegt werden, weil immer unklar bleibt, inwieweit die Beobachtungen verallgemeinerbar sind. (Auch in meinem ZfS-Beitrag diente die Fallvignette lediglich der Illustration einer vorher formulierten Aussage, das ist etwas anderes.)
Die Auswertungen der Intensivtherapie-Daten haben Ergebnisse erbracht, die trotz der bekannten methodischen Mängel schon eher als verallgemeinerbar gelten können (91 Paare!), und sie stützen die o.g. Hypothese einfach nicht. Damit ist sie automatisch zu verwerfen. Dazu gehört kein „Mut“ – gemeint ist natürlich Leichtfertigkeit –, es ist einfach eine unweigerliche Konsequenz. Man kann gewiss dagegenhalten, dass vielleicht die falschen Parameter untersucht wurden, dass verteilte Therapien andere Effekte haben etc., man muss sogar genau das machen. Das entkräftet die Ergebnisse zwar nicht, aber es werden neue, spezifischere Hypothesen aufgestellt, die ihrerseits zu prüfen sind. An diesem konstruktiven Forschungsprozess würde ich mich gern weiter beteiligen.
Ist es nicht viel „mutiger“, jahrelang eine Therapie ohne Effektnachweise anzuwenden? Das ist in Wahrheit das dünne Eis, dessen wir uns bewusst werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Maß -
28. Februar 2015 um 17:05 Uhr #3338Guido SchneiderGast
Lieber Reinhard,
reden wir hier aneinander vorbei?
Deiner Aussage über die Beweispflicht von Hypothesen stimme ich voll und ganz zu! Ja, ja und nochmal ja!Meine Kritik geht in eine andere Richtung: Ich halte den Rahmen des den Daten zugrundeliegenden 3wöchigen Ausbildungssettings nicht für geeignet, eine Therapie von “Lustlosigkeit” nach dem Hamburgder Modell auch abzuschließen. Hier wird ein Therapieende durche eine definierte Anzahl von Sitzungen determiniert, die durch den Ausbildungsrahmen vorgegeben ist. Dies unterscheidet sich vom Hamburger Modell, wie es im Manual dargestellt ist. Und im Grunde genommen müsste diese Kritik auch für die andere Indikationsbereiche gelten, nicht nur für die Lustlosigkeit.
Das grundsätzlich mit dem Rahmen des 3wöchigen Ausbildungssettings Erfolge zu erzielen sind, belegen die Zahlen ja eindrücklich. Mit Berit Brockhausens Ausführungen halte ich aber hinsichtlich der Lustlosigkeit die in vielen Fällen zu frühzeitige Unterbrechung der Therapie für problematisch. Hier wird eine Unterbrechung vorgenommen in einer Phase, wo oftmals die Auseinandersetzung und Gestaltung erotischer Räume auf den Tisch kommt. Und wenn dies im Round-Table nicht sorfältig genug vorbereitet und thematisiert wurde, wie Berit beschreibt, wird der Raum für diese Auseinandersetzung zeitlich eng. Demgegenüber erlebe ich die Dynamik in der Behandlung von Vaginismus oftmals anders. Hier werden meiner Ansicht nach für den Therapieerfolg sehr relevante Erfahrungen oft in einer früheren Therapiephase gemacht. In der Folge steht im 3wöchigen Ausbildungssetting mehr Zeit zur Verfügung, sich damit im Therapieprozess zu beschäftigen. Ausnahmen Bestätigen selbstverständlich die Regel.
Ich suche hier nach Erklärungsmöglichkeiten, warum die Daten so ausgefallen sind, wie Du Sie dargestellt hast. Aber ich bleibe bei meiner Behauptung, dass ich es mutig finde, Du magst es leichtfertig nennen, zu dem Ergebnis zu kommen, dass das Hamburger Modell bei der Lustlosigkeit keine geeignete Behandlung darstellt, wenn nur ein gewisser Teil des ganzen Modells in der 3wöchigen Ausbildung zum tragen kam. Die sagt selbstverständlich nichts darüber aus, dass es geeignet ist! Dies wäre nach wie vor zu belegen. Aber eben mit einem geeigneten Studiendesign.
Meine Hypothese ist, dass in den Daten durch die Verkürzung durch das 3wöchigen Ausbildungssetting, in der sich nur Teile des Hamburger Modells abbilden, ein grundsätzlicher Fehler befindet, wenn ich eine Aussage uüber die Wirksamkeit des Hamburger Modells, wie im Manual beschtrieben, treffen möchte. Und je nach Störungsbild kann sich dieser Fehler stärker oder schwächer abbilden. In manchen Bereichen mag er soger vernachlässigbar sein? Um diese Hypothese zu belegen müsste im Grunde genommen das 3wöchigen Ausbildungssetting gegen komplette Therapien nach dem Hamburger Modell getestet werden. Und zwar getrennt nach Indikationsbereichen.Wie schätz Du diesen Fehler ein, wenn es ihn denn gibt? Könnte er durch die bloße Anzahl der Paare kleingerechnet werden?
An meinen Fragen merkst Du, dass es mir schwer fällt, zu vermuten, das Hamburger Modell sei kein geeigneter Rahmen für die Behandlung von “Lustlosigkeit”, da dies meiner eigenen klinischen Erfahrung widerspricht. Aber eben deshalb ich halte die kritische Aufarbeitung der vorhandenen Daten für so wichtig. Dies sind erst einmal Daten, die vorliegen, alles ander wäre zunächst wesentlich aufwendiger. Und dieser Diskurs könnte zur Gestaltung eines geeigneteren Studiendesigns für die Zukunft dienen. Evidenzbasierte, statistisch solide Aussagen wären mir allemal lieber als auf Grund eigener klinischer Erfahrungen leichtfertig zu vermuten, so wie ich das derzeit ja auch nur machen kann.
Herzliche Grüße,
Guido Schneider
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28. Februar 2015 um 19:34 Uhr #3339Reinhard MaßGast
Lieber Guido,
Du musst bedenken, dass bisher nie Zweifel an der Eignung des dreiwöchigen Settings zur Behandlung sexueller Lustlosigkeit geäußert wurden, jedenfalls habe ich davon früher weder gelesen noch gehört, ganz im Gegenteil. Der Gedanke ist m.W. also neu und wurde erst durch die aktuellen Ergebnisse angeregt. Insofern beziehen sich die Hypothese der Studie und ihre Falsifikation tatsächlich auf das Hamburger Modell in jedwedem Setting. Das ist wirklich nicht mutig; es wäre sogar unzulässig, eine Hypothese post-hoc umzuformulieren.
Das sind jedoch methodische Spitzfindigkeiten, die letztlich nicht entscheidend sind. Wichtig ist vielmehr, dass das, was Du schreibst, ganz einfach eine neue (auch für mich plausible) Hypothese darstellt, nämlich so etwas wie: „Das Hamburger Modell in der verteilten Form ist effektiv bei der Behandlung sexueller Lustlosigkeit“. Es ist leider nicht möglich, diese neue Hypothese anhand der vorliegenden Daten zu prüfen. Dazu braucht man eine neue Untersuchung, z.B. die Feldstudie, über die wir gestern beim Bierchen gesprochen haben …
Herzliche Grüße
Reinhard
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